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Tag 2 – Lukas

»Was ist mit den Spinnern vom Hofgut?«, fragte die Frau, die bei den Grünen aktiv war.

Lukas verstand diese Ablehnung nicht, zumal deren nachhaltige Lebensweise mit ökologischer Landwirtschaft genau das war, was ihre Partei forderte. Die Freyristen beteiligten sich normalerweise am Dorfleben, einige der Jungs waren bei der Freiwilligen Feuerwehr, andere in verschiedenen Vereinen aktiv. Über die Jugendlichen bei der Feuerwehr hatte er lockeren Kontakt und war schon einige Male zu Besuch gewesen. Auch wenn ihm alle dort etwas altbacken vorkamen, hatte er sich dort immer wohlgefühlt. Man behandelte ihn wie einen Erwachsenen, im Dorf kam er sich oft nur wie ›Malte Junior‹ vor. Zumindest mit wenigen Ausnahmen. Florian, der Mann seiner Tante, nahm ihn für voll.

[…]

»Dirk«, wurde er beim Losgehen durch Klaus Grosslitz aufgehalten, »ihr könntet mir bei einem Problem helfen.«

Dirk schaute ihn an: »Schieß los.«

Lukas merkte ihm an, dass ihm die Situation unangenehm war: »Bei uns auf dem Hof ist der Strom ausgefallen und das Notstromaggregat nicht angesprungen.«

Er machte eine kurze Pause, die Umstehenden sahen ihn fragend an: »Dadurch funktioniert die Lüftung nicht. Ich war die ganze Nacht unterwegs und als ich heute Morgen nach Hause gekommen bin … »

Dirk schaute ihn mit aufgerissenen Augen an: »Wie viele Hühner?«

»Etwa 20.000«, gestand Herr Grosslitz, »ohne Lüftung hatten sie keine Chance.«

Ein kurzes Schweigen wurde von Dirk gebrochen: »Du hast 20.000 tote Hühner, weil du immer noch mit Bodenhaltung arbeitest.«

Der Geflügelbauer verteidigte sich: »Hast du eine Ahnung, welcher Aufwand Biohaltung ist? Und alle gehen lieber zum Discounter, um nicht zu viel für ihre Geflügelbrust zu bezahlen. Glauben die denn alle, dass der Kram dort vom Biohof kommt?«

Dirk hatte etwas Einsehen: »Für deine Tiere ist es jetzt ohnehin zu spät. Lukas? Kannst du bitte schauen, ob du Frau Liebenroth erwischst? Die hatte ich vorhin gesehen und kann uns sicher Tipps geben, was wir mit den Tieren machen sollen. Erklär ihr, was passiert ist und bitte sie, mit dir zur Wache zu kommen.«

»Klar. Mach ich«, Lukas verabschiedete sich, verließ den Saal und versuchte, in der Menge die Tierärztin zu finden.

Ihre roten Haare sollten zwischen den ganzen Menschen eigentlich auffallen, da sie aber nicht mal einen Meter sechzig groß war, übersah man sie schnell. Er folgte einem Teil der Menge, deren Weg in die Richtung der Tierarztpraxis führte, die im Wohnhaus von der Tierärztin untergebracht war.

Als sie dabei war die Haustür aufzuschließen, hatte er sie eingeholt: »Frau Liebenroth, dürfte ich Sie stören?«

»Hallo Lukas«, begrüßte sie ihn, »worum geht es denn?«

 Er schilderte ihr die Situation mit den toten Hühnern und dass Grosslitz die Feuerwehr um Hilfe gebeten hat, die ihrerseits Beratung von ihr nötig hätte.

»Die Geflügelfabrik?« Ihr Tonfall zeigte, dass sie von der Art der Haltung nicht viel hielt. »Ich muss nur was holen, wartest du bitte, dann können wir zusammen zur Feuerwache gehen.«

 Sie verschwand ins Gebäude und Lukas brauchte sich nur kurz zu gedulden, bis sie wieder mit einem kleinen Koffer aus dem Haus kam: »Das war wirklich schnell! Soll ich Ihnen den Koffer abnehmen?«

»Oh, sehr zuvorkommend.«

Gemeinsam gingen sie zur Feuerwache und wurden dort von Dirk begrüßt: »Hallo Frau Liebenroth! Vielen Dank, dass Sie gekommen sind!«

»Keine Ursache«, reagierte sie, »ich helfe gern. Ich nehme an, dass uns für den Abtransport der Tiere momentan die Möglichkeiten fehlen?«

Dirk schaute sie etwas planlos an: »Ich habe keine Vorstellung, wie viel Volumen 20.000 Hühner haben. Ohne funktionierende Fahrzeuge ist das keine Option. Werden wir Sauerstoffflaschen benötigen?«

»Vermutlich nicht«, antwortete die Tierärztin, »der Stall hat große Tore, die geöffnet werden können, die Belüftung ist nur notwendig, weil diese Tore im Betrieb nicht geöffnet werden. Es kann aber nicht schaden sie mitzunehmen.«

Lukas stand die ganze Zeit neben den beiden und hatte zugehört: »Wenn der Stall große Tore hat, wieso hat er sie nicht geöffnet?«

»Seit seine Frau mit den Kindern ausgezogen ist, war das Leben von Herrn Grosslitz mit vielen Hochs und Tiefs versehen. Er trinkt gerne und ich glaube, dass er jemanden gefunden hat, wo er sich ein wenig den Frust von der Seele reden kann«, erklärte Frau Liebenroth. »Wenn er seit gestern Nachmittag unterwegs war und die ein oder andere Flasche Bier getrunken hatte, war er mit den Gedanken vermutlich woanders. Für die Tiere ist es nur bitter.«

»Und was sollen wir mit den Kadavern machen? Vergraben? Verbrennen?«, überlegte sich Dirk die Optionen.

»Vergraben könnte das Grundwasser belasten«, erklärte die Veterinärin, »auch wenn das viele Tiere sind und es unheimlich stinken wird, sollten wir sie verbrennen.«

Dirk machte ein leicht angeekeltes Gesicht: »Und wie lange wird das dauern? Wie lange wird so etwas brennen?«

»Da habe ich keine Antwort«, gestand Frau Liebenroth, »wir werden es herausfinden.«

»Welches Material sollen wir mitnehmen?«, fragte Lukas, »und vor allem: wie?«

»Wir haben den Bollerwagen, da passt einiges rein«, entschied Dirk, »ich überlege noch, was wir als Brandbeschleuniger einsetzen.«

Er ließ die beiden stehen und stellte Material bereit. Lukas holte den Wagen und fing an, ihn mit den anderen Feuerwehrleuten zu bestücken. Danach zog er sich um und niemand wies ihn darauf hin, dass er nur Jugendfeuerwehr war. Nachdem alles beladen war, liefen sie zum Geflügelhof.

Lukas hatte bisher wenig über die verschiedenen Haltungsformen von Nutztieren nachgedacht und war beim Anblick des Stalles und der Kadaver angeekelt und schockiert. Der Gestank war penetrant und er hatte keine Ahnung, ob es die toten Hühner waren oder der Kot und Dreck auf dem Boden. Der Gedanken, dass er Fleisch von Tieren gegessen hatte, die so gehalten wurden, brachte ihn fast zum Übergeben.

Beschämt stand der Geflügelbauer am Tor des Stalles und wartete auf eine Reaktion. Neben ihm stand ein Karton mit Einmaloveralls. Er hielt mehrere in den Händen und bot sie den Feuerwehrleuten an. Dirk musterte ihn kurz, nahm einen der Overalls und sein Team folgte seinem Beispiel. Grosslitz selbst hatte ebenfalls einen angezogen und verteilte Einwegmasken, die den allerschlimmsten Gestank fernhalten sollten.

Frau Liebenroth kramte ein kleines Döschen aus ihrem Arztkoffer und bot sie als Erstes Dirk an: »Hier, Wick VapoRub, ein wenig unter die Nase schmieren, dann ist der Gestank weniger schlimm.« Sie hatten vorher einen freien Platz am Ende des Hofes ausgesucht, zu dem die Kadaver gebracht wurden. Mit großen Schaufeln und Mistgabeln bewaffnet, brachten sie die toten Tiere aus dem Stall und der Berg wuchs schnell an. Zwischendurch schüttete Dirk Benzin aus einem Kanister über die Hühner und als der Haufen schulterhoch war, zündete er ihn an. Der Gestank wurde weder besser noch schlechter, einfach nur anders. Selbst wenn man kurz an Brathähnchen erinnert wurde, die verbrannten Federn überdeckten das sofort wieder. Nachdem der Stall geräumt war, entledigten sich alle der Einmaloveralls und warfen sie mit auf den Scheiterhaufen.

… das Kapitel ist hier noch nicht fertig, in dieser Leseprobe schon.