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Tag 1 – Simone

Simone saß in einem nobel ausgestatteten Konferenzsaal im Hanseatic Trade Center in Hamburg. Ihre Aufgabe war es, ihren Kunden zu überzeugen, dass ihr Bankhaus am besten geeignet war, sein ohnehin schon beachtliches Vermögen zu vergrößern. Das Ganze mit möglichst wenig Risiko und großen Renditen, die Quadratur des Kreises.

Der Tag hatte extrem früh angefangen: Ihr Kollege Arne und sie waren gegen sieben Uhr von Frankfurt Richtung Hamburg geflogen und mit drei Kundenterminen war der Tag großzügig geplant. Während die ersten beiden seit Jahren Kunden ihrer Bank waren, war ausgerechnet der letzte Termin des Tages eine Neuakquise. Auf den konnten sie sich am schlechtesten vorbereiten, denn sie wussten zu wenig vom potenziellen Klienten, dem Chef einer Firma für umweltfreundliche Energiegewinnung.

Dessen Büroräume waren im Turm des Columbus Hauses untergebracht und die Aussicht aus dem 18. Stockwerk war faszinierend. Die Elbphilharmonie stand in unmittelbarer Nähe, die Elbe und Teile des Hafens waren gut zu beobachten. Harald Burk hatte innerhalb von zwei Jahren mit wenig Startkapital eine Firma aus dem Boden gestampft, die Solaranlagen verschiedener Art aus aller Welt importierte und installierte.

Nach einer Stunde Gespräch hatte sie den Eindruck, dass er genau wusste, was er wollte: Keinen Honig um den Mund geschmiert bekommen, sondern direkt zum Kern der Sache kommen. Die hochwertige Broschüre des Bankhauses hatte er dementsprechend kaum beachtet und sich sofort die von Arne angefertigte Präsentation über verschiedene Produkte angeschaut. Mit einem Kennerblick blätterte er die unwichtigen Seiten fast ungelesen weiter und überflog die anderen nur wenig länger.

»Gefällt mir.« Herr Burk legte die Präsentationsmappe auf den großen Konferenztisch.

»Und wie …« Der Bildschirm seines Laptops wurde plötzlich dunkel. Er wandte sich um und schaute aus dem Fenster.

Simone folgte seinem Blick: »Nach was schauen Sie?«

Burk erklärte: »Die Frachtkräne bewegen sich nicht mehr. Da scheint das Stromnetz nicht mit den Belastungen durch die vielen Klimaanlagen zurechtzukommen.«

Simone hatte den Eindruck, dabei Eurozeichen in seinen Augen zu sehen. Sie stellte sich vor, dass jeder Stromausfall ein Verkaufsargument für seine Produkte sein musste.

»Was ist mit Ihrem Notebook?«, fragte sie.

Herr Burk ging zu seinem Laptop und drückte auf einen Schalter: »Okay, das ist seltsam.«

»Na toll«, ließ sich Arne hinreißen, »wenn das länger dauert, werden wir durch das Chaos unseren Rückflug verpassen. Oder hat die U-Bahn eine eigene Stromversorgung?«

»Da bin ich überfragt«, gestand Herr Burk, »Ihr Zeitproblem fängt schon hier an. Die Aufzüge dürften nicht mehr funktionieren und mit Ihrem Schuhwerk wird der Abstieg ins Foyer keine wirkliche Freude sein.«

Dabei deutete er auf Simones High Heels, die zwar nicht die höchsten Absätze hatten, jedoch einen Treppenabstieg erschwerten.

Erst ärgerte sie sich über diesen Kommentar, konterte dann: »Die Schuhe kann ich ausziehen, das Treppenhaus wird irgendwann gewischt worden sein!«

Burk reagierte mit einem kurzen, stoßartigen Lachen. »Sehr gut! Ich würde vorschlagen, dass wir unseren Termin für heute beenden. Ich melde mich die nächsten Tage telefonisch bei Ihnen, dann können wir weitere Details besprechen.«

Burk schaute stirnrunzelnd aus dem Fenster: »Schauen Sie, da vorne.«

Simone stellte sich neben ihn und sah, wie ein Ausflugsboot, im Hafenbecken vor dem Büroturm, die Kontrolle verloren zu haben schien: Das Schiff fuhr geradeaus in die Uferbefestigung. Da es ohnehin kurz vor dem Anlegen war, würde es einen relativ kleinen Materialschaden geben.

»Eigentlich wird das Schiff von einem sehr erfahrenen Kapitän gesteuert, wir hatten schon Events auf dem Kahn«, teilte Herr Burk mit, »aber …«

Er schaute wieder aus dem Fenster und Simone folgte seinem Blick, auf der Elbe sah sie eines dieser großen Passagierschiffe.

»Sehen Sie oben am Mast die Radaranlagen? Die sollten sich normalerweise drehen«, erklärte Burk.

»Vielleicht ist es nicht eingeschaltet?«, vermutete Arne.

Der Kunde musterte ihren Kollegen und kam Simone dabei wie ein Lehrer vor, der über die Frage eines Grundschülers lächelt: »Möglicherweise, aber eher unüblich.«

»Ich kann mich täuschen«, setzte Herr Burk fort, »aber das Schiff scheint nicht den normalen Weg zu nehmen.«

»Glauben Sie, es könnte auch außer Kontrolle sein?«, befürchtete Simone.

»Wie kommen Sie darauf und vor allem wieso ›auch‹?«, reagierte Burk auf ihre Frage.

Sie antwortete: »Sie betonten vorhin, dass der Kapitän des Ausflugsbootes normalerweise sehr viel Erfahrung hat, als ob Sie vermuten, dass es eine andere Ursache geben könnte.«

»Gut aufgepasst.« Burk nickte, nahm seinen Blick kaum vom Ozeanriesen, der sanft eine Kurve fuhr. »Das Schiff sollte mittlerweile einen engeren Radius fahren. Wenn sich das nicht ändert, rammt es die Elbphilharmonie. Sie haben sich für Ihren Besuch einen ereignisreichen Tag ausgesucht!«

»Zwei Havarien sind nichts, was man unbedingt sehen müsste«, wandte Simone mit etwas Empörung in der Stimme ein. »Sie haben recht«, entschuldigte sich Herr Burk.

… das Kapitel ist hier noch nicht fertig, in dieser Leseprobe schon.