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Gitarre
Gitarristen: Rebellen und Konservative!

Gitarristen: Rebellen und Konservative!

Die drei E-Gitarristenlügen? „Ich habe mich schon leiser gedreht!“, „Ich spiele im nächsten Lied kein Solo!“ und „Ich kann nach Gehör stimmen!“. Als Nichtmusiker mag man sich über solche Witze wundern, jeder der mal in einer Band gespielt hat, fragt sich man sich, wo denn da der Witz sein soll. Die meisten jedenfalls, denn die Stereotypen der betroffenen Instrumentalisten (E-Gitarristen, Bassisten, Keyboarder, Sänger) haben alle ja doch ihren wahren Kern.

Betrachtet man sich E-Gitarristen genau, so fällt ein interessanter Widerspruch auf: Auch Jahrzehnte nach der Rock’N’Roll-“Revolution“ sehen sich die meisten immer noch als Rebellen an. Beobachtet man aber bestimmte Soundvorstellungen, so sind sie im Grunde Erzkonservativ und verteufeln die meisten Neuerungen (wenn es sich dabei nicht um die was-weiß-ich-wievielste Kopie des Dagewesenen handelt).

Am Anfang war die E-Gitarre …

Schauen wir uns den typischen Anfang einer E-Gitarristenkarriere an (unabhängig davon ob vorher klassische Gitarre gespielt wurde oder gleich mit der E-Gitarre angefangen wurde): Das heiß ersehnte Instrument ist da, das erste Spielen kann man ja auch mal trocken machen, also ohne Verstärker und sofort fällt auf: Das macht einfach keinen Spaß. Wer im Laden oder über andere Quellen gut beraten wurde, wusste das schon vorher und hat schon für die entsprechende Verstärkung gesorgt. Früher war das entweder ein altes Röhrenradio oder ein kleiner Transistorverstärker (liebevoll und abwertend auch mal „Tischhupe“ getauft). Andere schlossen die E-Gitarre auch einfach mal an ihre Stereoanlage an, das Ergebnis war … nicht beeindruckend, zumindest was den Klang betraf. Warum das so ist? Kurz gesagt: Der E-Gitarristensound (bzw. der, den wir gewohnt sind) ist ein Unfall. Eigentlich das Zusammenspiel mehrerer ungünstiger Faktoren.

Gitarristen hatten in den großen Tanzbands ein grundsätzliches Problem: Gegen Streicher, Bläser, Klavier und Schlagzeug waren sie einfach zu leise. Hilfe wurde mit der Elektrik und der Röhre gefunden, die es gestattete, die Gitarre zu verstärken. Der Aufbau bestimmter Komponenten des Röhrenradios und der ersten Röhrenverstärker waren nahezu identisch, wieso es auch nicht verwunderlich ist das auch heute noch (junge und oder bastelwillige) Gitarristen nach alten Röhrenradios suchen. Allerdings ergab die Kombination aus den zur Verfügung stehenden Lautsprechern und der Gesamtkonstruktion einen Sound der nicht einfach linear den Klang verstärkter, sondern diesen massiv veränderte. Leicht verzerrte Frequenzen und ein miserabler Frequenzgang der Lautsprecher ergaben den Sound, der aus der elektrifizierten Gitarre das Instrument „E-Gitarre“ machte.

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Eine typische E-Gitarristenevolution

Hat man endlich die erste Gitarre und einen Verstärker, stellt man fest, dass die Verzerrung fehlt. Die Lösung war eine sogenannte „Tretmine“, ein Effektpedal, dass das Signal verzerrte. Je nach Zerrintensität wird das Pedal dann entweder als Overdrive, Distortion oder Fuzz eingestuft, die Grenzen sind fließend.

Früher oder später gelangt dann auch jeder an den Punkt, an dem er einen „Verstärker mit eingebautem Verzerrer“ haben möchte, ohne wirklich genau zu wissen, was man da will. Hauptsache es verzerrt und am besten sollte es sich auch mit dem Fuß umschalten lassen.

Ob das wirklich nur ein kleiner Schaltkreis in dem Gerät macht oder aber man schon ein „fortgeschrittenes“, mehrkanaliges Gerät zur Verfügung hat, ist im Grunde unerheblich, spätestens an dieser Stelle sind die meisten E-Gitarristen schon hoffnungslos mit G.A.S. infiziert. „Guitar Aquisition Syndrom“, eine der „Gear Aquisition Syndrom“ untergeordnete und vor allem von den Krankenkassen nicht anerkannte Krankheit („Der Gitarrist hat immer eine Gitarre zu wenig“), die sich wahrscheinlich auf die Sammelleidenschaft des Menschen zurückführen lässt („ich brauche nur noch dieses eine Effektpedal …“). Der Wahnsinn nimmt dann üblicherweise seinen Lauf: Die Effektkette wird zunächst mit Einzelpedalen aufgefüllt, das ganze wird ohne den berühmt-berüchtigten Gitarristen Stepptanz nicht mehr bedienbar (um vom Sound der Strophe auf den Sound des Refrains zu wechseln müssen möglicherweise 5 oder 6 Pedale mehr oder weniger gleichzeitig getreten werden), weshalb dann viele auf Multieffektgeräte umzusteigen.

Die sind zwar praktisch, können dann aber vom Klang her oft nicht mit den Einzeleffekten mithalten, wird zumindest oft erzählt, weshalb dann immer wieder genügend dem Multieffekt dem Rücken kehren und auf Einzelpedale zurück umsteigen. In der extremsten Variante kehrt man zum „Nur meine Gitarre ein Kabel und der Verstärker“ zurück. Ob der Gitarrist das nun wirklich gehört hat oder einfach nur dem typischen Muster folgt, lässt sich nicht überprüfen. Es ist aber zu vermuten, dass der Anteil derer die ihren gewünschten fortgeschrittenen Status auch mit vermeintlich Fortgeschrittener Attitüde unterstreichen wollen nicht gering ist. Ach ja, es gibt dann auch noch genügend, die der Ansicht sind ein Rack-Setup wäre der Klimax der gitarristischen Entwicklung (aber auch da landen dann genug wieder bei „Nur meine Gitarre, mein Kabel und mein Amp“).

Digital ist böse!

Galt schon bei den Einzel- und Multieffektgeräten das digital böse ist („Das klingt kalt“), wurde der Equipmentwahn durch das „digitale Modelling“ erweitert. Ein Gerät beschäftigt sich damit den kompletten Signalweg Mischpultfertig aufzubereiten. Mischpultfertig? Früher hat man als Gitarrist das Publikum direkt beschallt, weshalb immer größere Wattmonster notwendig wurden („Besser als viel Watt? Mehr Watt!“). Erheblich dabei ist, dass die Lautsprecherboxen erheblich zum Gitarrenklang beitragen, was wiederum zur Weisheit „Der Klang muss durch die Luft“ führte.

Ausgehend von „digital ist böse“, „Meine Gitarre, mein Kabel und mein Amp“, „Mehr Watt ist besser“ und „Der Sound muss durch die Luft“ ergeben sich dann mitunter auch die Punkte, an denen andere Musiker (und Tontechniker) mit Gitarristen aneinandergeraten. Das Ganze läuft im Grunde auf „das haben wir schon immer so gemacht“ und „früher hatten wir so einen modernen Quatsch“ nicht. James Marshall Hendrix, Pete Townsend und andere mussten mit seinem Verstärker den ganzen Saal beschallen, denn es gab einfach keine Beschallungsanlage, die Gesang und Instrumente hätte beschallen können. Heute sind die Anlagen effizienter und stärker nur Gitarristen bestehen darauf, noch genauso zu spielen wie vor 40 Jahren. Der ausgewogene Bandklang scheitert nicht zu selten an der Lautstärke des Gitarristen (und nicht selten hat der Mann am Mischpult nur noch die Möglichkeit, die anderen Instrumente und den Gesang lauter zu drehen, denn die Gitarren kommen sowieso nur von der Bühne und nicht über die Anlage).

Lautsprechersimulation? Wieso denn?

Seit Jahren gibt es kleine Kästen voller Elektronik, die man zwischen Gitarrenverstärker und Box anschließen kann und die dann ein fertiges Signal ans Mischpult liefern. Anstatt es sich einfach zu machen bestehen die meisten Gitarristen aber darauf, dass man vor der Gitarrenbox ein Mikro aufstellt, weil es besser klingen würde. Das dieses Mikro nur einen bestimmten Teil des Klanges aufnimmt und das der Klang extrem von der Position und dem Winkel zur Box abhängt, wird einfach ignoriert (die Großen machen es ja auch so). Und natürlich sind alle überzeugt, dass die Lautsprechersimulation nicht klingt. Weiß doch jeder. Ob es jeder hört, ist dagegen nicht sicher.

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Keep it simple

Multieffektgeräte bieten viele Funktionen, das liegt in der Natur der Geräte. Die Werkpresets neigen, oft dazu überladen zu sein, denn oft scheint da die Devise zu gelten: Es kann viel, also muss es auch alles genutzt werden. Die meisten Gitarristen sind damit überfordert, denn eigentlich wollen sie nur spielen und nicht programmieren. Da kommt es dann nur praktisch das ja viele „gute“ Gitarristen auch nur schlichte Setups spielen und „Meine Gitarre, mein Kabel, mein Amp“ ist dann mal schnell nachgeplappert. Es ist nicht so, dass der Spruch jetzt überhaupt keinen Sinn machen würde, allerdings bleibt es bei vielen beim Anspruch. Viele versuchen aber einfach, nur das eigene Unvermögen der Technik in die Schuhe zu schieben und im Grunde zeigt sich beim Umgang mit der Technik (und auch modernen Musikrichtungen) das der Gitarrist nicht wirklich der Rebell, sondern eher ein erzkonservativer Musiker ist!

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